Interview des Vorstandsvorsitzenden der ОАО Gazprom, Alexey Miller, mit der Nachrichtenagentur Reuters
Reuters: Sie haben es heute geschafft, uns alle staunen zu lassen.
Alexey Miller: Wieso?
Reuters: Jawohl, wir waren alle stark beeindruckt. Wir erwarteten etwas aus dem Süden, es kam aber etwas аus dem Norden.
Alexey Miller: In Wirklichkeit ist es unsere Arbeit. Und Ihre Aufgabe ist es, uns zu benoten.
Was nun die Unterzeichnung des Memorandums zu Nord Stream 2 angeht, so ist diese Arbeit im Verlaufe von mehreren letzten Jahren gelaufen. Im November 2011 fasste der Aktionärsausschuss von Nord Stream die Entscheidung und erteilte den Auftrag, Möglichkeiten zur Erweiterung der Gastransportkapazitäten des Nord Stream zu untersuchen. Im Verlauf all dieser Jahre, 2012 bis 2014, wurden Pre-Investment- und Vorplanungsarbeiten durchgeführt. Die heutige Unterzeichnung bedeutet faktisch den Start der Projektrealisierung.
Dabei sollte vermerkt werden, dass für den Start dieser Arbeit das gesamte erforderliche Basismaterial vorbereitet wurde. Erstens wurden das technische Konzept und die technischen Daten des Projekts definiert. Es wurde beschlossen, dass das technische Konzept des dritten und des vierten Strangs dem Konzept des ersten und des zweiten Strangs identisch und die technischen Daten dementsprechend die gleichen sein werden – das sind zwei Stränge mit einer summarischen Kapazität von 55 Milliarden Kubikmetern Gas.
Vorab definiert wurde die Stelle des Eintritts in die Ostsee von der russischen Seite aus und die Stelle des Austritts auf deutscher Seite. Die Stelle des Eintritts in die Ostsee ist eine andere als die von Nord Stream-1. Wie Sie wissen, ist die Eintrittsstelle des Nord Stream-1 die nördliche Küste des Finnischen Meerbusens im Raum von Primorsk. Beim dritten und vierten Strang ist es der Bezirk Kingissepp im Verwaltungsgebiet Leningrad in der Nähe von Ust-Luga. Die Austrittsstelle auf deutschem Territorium befindet sich im Raum von Greifswald unweit der Austrittsstelle des ersten und des zweiten Strangs.
Dementsprechend wurde die Route festgelegt. Im Verlaufe dieser Zeit wurden Routenoptionen bewertet. Angenommen wurde die Option, die jetzt aufgearbeitet werden soll. Die Route hat eine Länge von 1.225 Kilometern. Sie verläuft demnach durch Territorialgewässer Russlands und Deutschlands, durch Wirtschaftszonen Russlands und Deutschlands und berührt auch Wirtschaftszonen Finnlands, Dänemarks und Schwedens.
Während dieser Zeit wurde ein vorläufiges Projektbudget erstellt: Der dritte und der vierte Strang wurden auf 9,9 Milliarden Euro geschätzt. Den ersten und zweiten Strang hatten wir für 8,5 Milliarden Euro gebaut. Sie wissen, dass wir beim ersten und zweiten Strang eine Budgetoptimierung vorgenommen hatten. Ebenso erwarten wir hier eine Budgetoptimierung, obwohl letztendlich praktische Arbeit zeigen wird, was dieses Projekt kostet. Jedenfalls sind gewisse unvorhersehbare Kosten in diesem Budget von 9,9 Milliarden Euro mit enthalten, obwohl sie im Grunde genommen auch ausbleiben können. Außerdem sollten wir nicht vergessen, dass wir positive Erfahrungen beim Bau von Gaspipelines auf dem Ostseegrund besitzen. Und wir sprechen auch davon, dass wir in der Verlegungsgeschwindigkeit den ersten und zweiten Strang übertreffen werden.
Der vorläufige Zeitplan für die Realisierung dieses Projekts steht bereits fest: Der dritte und vierte Strang sollen bis Ende 2019 anlaufen.
Vorab definiert ist auch das Budget der nächsten Phase der Basisplanung, und wir werden bereit sein, diese Phase sofort in Angriff zu nehmen.
Es sei auch vermerkt, dass die Aktionäre dieses Projekts sich darauf geeinigt haben, dass wir uns auf dieselben Unterlagen stützen werden, die für den ersten und zweiten Strang erstellt wurden. Gemeint sind Absprachen zwischen den Aktionären und Transportabsprachen. Deswegen wird es keiner langen Abstimmungen, keiner langwierigen Verhandlungen bedürfen, um diese Unterlagen vorbereiten zu können. Wir erwarten, dass buchstäblich gegen September ein Aktionärsabkommen unterschrieben und eine Gesellschaft für die Realisierung des Projekts des dritten und vierten Strangs gegründet wird.
Das Finanzierungskonzept des Projekts steht ebenfalls fest. Es ist demjenigen des ersten und zweiten Strangs vollkommen identisch, die Projektteilnehmer sind damit einverstanden. 30 und 70 Prozent ist eine für Sie vollkommen verständliche Formel.
Ein sehr wichtiges Moment ist es, dass die vorläufigen Unterlagen für die Ausschreibung von Einkäufen vorbereitet sind. Es hat bereits eine Präqualifizierung der Lieferanten, darunter auch von Röhren, stattgefunden. Deswegen ist der Bereitschaftsstand sehr, sehr hoch.
Es sei auch darauf hingewiesen, dass der Unterausschuss der Aktionäre der Nord Stream AG im April 2014 beschlossen hatte, einen hohen Bereitschaftsgrad der Vorprojekt- und Pre-Investment-Phase des Projekts zu gewährleisten, um ohne Verzug an die Projektumsetzung gehen zu können. Was eigentlich gesagt heute auch geschehen ist.
Der Hauptfaktor dessen, dass heute diese Dokumente unterschrieben wurden, ist die Situation auf dem europäischen Markt. Dies ist in erster Linie die sinkende Gasförderung in Europa. Und dementsprechend wachsende Nachfrage nach russischen Gaslieferungen. Ich werde jetzt keine Länder nennen, Sie können sich einfach die Statistik anschauen. Dabei ist der Rückgang der Fördermengen recht beachtlich. Wir haben uns in letzter Zeit mit unseren Partnern in Europa getroffen. Sie hatten in letzter Zeit sinkende Liefermengen traditioneller Lieferanten signalisiert – jener Unternehmen, die Gas in Europa gewinnen. Die Förderung sinkt, und zwar beträchtlich. Sie prüfen unterschiedliche Optionen, stellen aber fest, ohne neue Mengen an russischem Gas schlicht und einfach nicht auskommen zu können.
Wir beobachten wachsende Nachfrage nach russischem Gas unmittelbar in der laufenden Zeitspanne. Wir haben die Zahl schon genannt, sie ist Ihnen bekannt. Die Mai-Menge der Gaslieferungen auf unseren größten Markt, Europas Markt Nummer eins, nach Deutschland (Fakt vom Mai dieses Jahres gegen den Fakt des Vorjahres) weist ein Plus von 68 Prozent auf. Das ist, wie Sie begreifen, ein sehr bedeutender Zuwachs, und in diesem Zusammenhang sollte folgendes festgestellt werden: Die neuen Kapazitäten für den dritten und vierten Strang werden ausschließlich für neue Mengen an russischem Gas gebaut. Es handelt sich nicht um irgendwelche Transitmengen, um irgendein so genanntes altes Gas, es handelt sich um neue Mengen. Und dieses Projekt – Nord Stream 2 – ist kein Konkurrent des TurkStream.
Was die Memoranden und Abkommen angeht, die heute unterschrieben wurden, so ist das überhaupt keine Überraschung. Während dieser ganzen Zeit wurde, wie Sie sehen, sehr ernste, akribische Arbeit geleistet, sie war bloß von außen nicht zu sehen.
Reuters: Sie hatten sie vor uns gut versteckt. Wir mögen angenehme Überraschungen. Das macht unsere Arbeit interessant.
Alexey Miller: Diese Arbeit wurde von dem so genannten kleinen Büro der Nord Stream AG durchgeführt. Die Aktionäre der ersten Projektphase wussten von dieser Arbeit, und unter den Projektteilnehmern ist, wie Sie sehen, die Gesellschaft E.ON. Was andere Projektteilnehmer angeht, so sollte in erster Linie gewiss darauf hingewiesen werden, dass sich der Konzern Shell daran beteiligt, er hat jetzt die BG Group gekauft. Shell ist zweifelsohne ohnehin schon einer der Spitzenreiter des Weltenergiemarktes.
Reuters: Und wird zum absoluten Leader beim LNG werden.
Alexey Miller: Beim LNG baut der Konzern seine Positionen aus. Sie stärken ihre Positionen im Gassektor, unter anderem erstarkt ihre Rolle auf dem Gasmarkt Europas. Deswegen ist deren Interesse am Nord Stream 2 Projekt vollkommen offenkundig, deswegen sind sie auch an uns mit dem Angebot getreten, an diesem Projekt teilzunehmen. Shell ist ohne Zweifel ein sehr ernster und starker Spieler, mit dem wir heute auch noch eine Reihe von Dokumenten unterschrieben haben, auf die wir etwas später zurückkommen.
Ein weiterer Teilnehmer dieses Projekts ist die Gesellschaft OMV. Sie hat viel getan und tut weiterhin viel dafür, dass sich Baumgarten zu einem der größten Gashubs in Europa entwickelt. Dem ist tatsächlich so. Die Teilnahme der OMV ist kein Zufall, die Rolle und Stellung von Baumgarten als Gashub in Europa wird durch die Teilnahme der OMV an diesem Projekt nur zunehmen.
Wir erwarten, dass sich demnächst ein weiterer Teilnehmer anschließt, das wird höchstwahrscheinlich die BASF/Wintershall sein.
Reuters: Was logisch ist.
Alexey Miller: Jawohl, das ist vollkommen logisch. Der Fakt an sich, dass wir jetzt offen davon sprechen, dass sie sich in allernächster Zeit dem Projekt anschließen können, bedeutet bereits, wie Sie begreifen, sehr viel, weil das keine Information für die Öffentlichkeit ist. Wir befinden uns in einer sehr stark fortgeschrittenen Verhandlungsphase und begreifen, dass dies in allernächster Zeit passieren kann. BASF/Wintershall ist unser traditioneller Partner, uns verbinden enge, freundschaftliche, herzliche Beziehungen miteinander. Dabei sollte vermerkt werden, dass wir mit deutschen Unternehmen nach dem Prinzip des Aufbaus einer Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette gearbeitet haben. Eine solche Vereinbarung wurde übrigens heute auch mit OMV erzielt. Das ist ohne Zweifel ein neues Kapitel in unserer Zusammenarbeit mit Österreich. Dieses Land hatte seinerzeit als erstes sowjetisches Gas bezogen. Es wurden also etwas weniger als 50 Jahre gebraucht, um von einer derart einfachen Form wie ein Kaufvertrag zur fortgeschrittenen Form der Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette überzugehen. Wir haben nun vor, die Zusammenarbeit mit OMV in allernächster Perspektive nach eben diesem Prinzip zu gestalten.
Was nun das Nord Stream 2 Projekt angeht: Wir bekommen von den Teilnehmern des anderen Projekts, des TurkStream, Fragen zu hören, ob dies eine Alternative sei? Ich wiederhole nochmals: Das ist keine Alternative. Heute haben auch Verhandlungen mit dem griechischen Minister stattgefunden. Das Forum ist noch nicht zu Ende, und ich denke, dass es im Rahmen des Forums auch zu dem anderen Projekt, dem TurkStream, zu der südlichen Richtung unserer Arbeit Neuigkeiten geben wird.
Reuters: Herzlichen Glückwunsch, das ist ein sehr interessantes Geschäft. Wir waren heute alle verblüfft, wie ich schon sagte. Nun, BASF, E.ON – das ist verständlich, OMV ist auch verständlich, weil es alte, langjährige Partner sind. Der Einstieg von Shell ist indes in der Tat sehr interessant. Das ist unter dem Gesichtspunkt, dass solche Unternehmen wie Shell, wenn Sie sich viele andere Projekte anderer Unternehmen anschauen, nach 2014 doch versuchen, die Zusammenarbeit etwas einzuschränken oder sie auf dem Basisniveau zu belassen. Shell hat indes entschieden, in ein schlechthin kolossales Projekt der Gazprom einzusteigen. Wovon spricht dies unter dem Gesichtspunkt dessen, wie europäische Partner Russland als Partner unter den Bedingungen der Sanktionen sehen?
Alexey Miller: Was nun die Abkommen betrifft, die heute mit Shell unterschrieben wurden. Heute wurden ihrer drei unterschrieben: Das ist das Memorandum zu Nord Stream 2, das ist die grundsätzliche Entscheidung zur Umsetzung des Projekts der dritten Ausbaustufe von Sachalin-II und dies ist das Abkommen über strategische Partnerschaft. Ich muss sagen, dass derartige Dokumente mit derartigem Potential selbst durch die Gazprom gar nicht so oft unterschrieben werden. Geschäfte von derartiger Relevanz kommen einmal in fünf oder sogar einmal in zehn Jahren zustande.
Die Gazprom ist eine globale Gesellschaft, wir positionieren uns als globaler Spieler, wir arbeiten in 51 Ländern, wir arbeiten momentan aktiv in Europa und Asien. Unsere traditionellen Partner sind starke Energieunternehmen, die sich allerdings im Gegensatz zu Shell im Öl-und Gassektor als regionale Spieler, als eine der Spitzenreiter des europäischen Marktes positionieren.
Shell ist ein globaler Spieler und wir erkennen sehr wohl, dass es heute zwar keinen globalen Markt, aber doch globale Unternehmen gibt, es gibt etliche große Märkte, und wir sollten begreifen, dass sich ebenso wie bei uns in Europa eine globale strategische Partnerschaft herausprägen wird. Die Dokumente, die heute mit Shell unterschrieben wurden, erheben mit ihrem Potential ohne Zweifel den Anspruch darauf, die Basis, die Grundlage dafür zu bilden, dass sich im Rahmen der Realisierung konkreter gemeinsamer Projekte zwischen Gazprom und Shell eine echte strategische globale Partnerschaft entwickeln kann.
Das ist ein neues Kapitel, das heute in den Beziehungen zwischen Gazprom und Shell aufgeschlagen wurde. Ich hebe nochmals das BG-Geschäft hervor, ohne Zweifel sehen wir ein noch größeres Potential bei Shell, aber ich muss auch darauf verweisen, dass wir mit Shell erfolgreich gearbeitet haben und arbeiten, wir haben positive Erfahrung. Wenn Erdöl gemeint ist, ist das selbstverständlich das Salym-Projekt, wenn von LNG die Rede ist, ist es selbstverständlich Sachalin-II. Wenn wir uns überhaupt alle LNG-Projekte in der Welt anschauen, dann ist Sachalin-II ohne Zweifel das beste und erfolgreichste Projekt.
Reuters: Das hat sogar Shell vielfach geäußert…
Alexey Miller: Das ist überaus kennzeichnend. Erstens können wir in der Tat das Vorhandensein von sehr guten DMR-Technologien und hochwertigen Projektlösungen feststellen. Die Entscheidung zur dritten Ausbaustufe von Sachalin-II bedeutet, dass wir die dritte Baustufe innerhalb kürzerer Zeit fertigstellen werden, als es bei der ersten und zweiten Baustufe der Fall war. Die spezifischen Investitionen werden zweifelsohne auch niedriger sein, da es eine gemeinsame Infrastruktur gibt, auf die wir uns stützen werden. Wir werden auch die Betriebserfahrungen berücksichtigen, die es im Sachalin-II Projekt bereits gibt.
Darüber hinaus ist es ein großartiges Vorhaben für Projektfinanzierung. Erstens gib es einen laufenden Cash-Flow, einen realen Cash-Flow aus dem Sachalin-II Projekt, es gibt aktive Kreditoren, die Interesse für die nächste Projektphase zeigen, wir sehen es. Und das Wichtigste ist die Nähe zu den extrem aufnahmefähigen LNG-Märkten der asiatisch-pazifischen Region und die Erkenntnis, dass wir dieses Projekt binnen sehr kurzer Zeit realisieren können. Ich spreche von der dritten Bauphase von Sachalin-II.
Das bedeutet aber auch, dass sich dieses Projekt praktisch in den Rahmen jener Absprachen fügt, die unser Dokument über strategische Partnerschaft widerspiegelt. Es geht darum, dass Shell und wir beginnen, die Arbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette in der Gasindustrie zu gestalten. Und nicht allein in der Gasindustrie, das betrifft die Kohlenwasserstoffe insgesamt, denn Sie begreifen ja, dass Tausch-, SWAP-Geschäfte in einem breiten Spektrum der Warenproduktion möglich sind. Dies zum einen.
Zweitens werden Shell und wir diese Arbeit auf der Grundlage des Austauschs von Vermögen gestalten, darunter auch – das sollten Sie beachten – von Vermögen in der Förderung. Das Geschäft, das wir planen, wird eine gewisse Zeit beanspruchen, denn Shell muss ja in alle BG-Rechte eintreten, doch wir glauben, dass wir auf dem nächsten Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg so ein Deal unterschreiben können.
Reuters: Die werden in Australien unbedingt etwas verkaufen müssen. Vollkommen sicher – sie besitzen dort einen viel zu hohen Anteil. Sie werden den Chinesen etwas sagen müssen, denn sie haben einen viel zu großen Anteil an den Lieferungen. Und die haben auch viel zu viel an allem in Brasilien. Das ist das, was Analytiker im Wesentlichen sagen.
Alexey Miller: Wir wissen selbstverständlich von Australien und von Brasilien und vom asiatischen Markt. Aber gerade das ist es, wie Sie begreifen, was uns gestattet, von globaler Partnerschaft, von globaler Zusammenarbeit zu sprechen. Sie operieren auf die gleiche Art und Weise in Dutzenden von Ländern, sie besitzen Vermögen auf vielen Kontinenten. Neben allem anderen erkennen wir sehr wohl die Möglichkeiten von Tauschoperationen Pipelinegas gegen LNG. Der Umstand an sich, dass Shell sich einem Pipelinegas-Projekt anschließt, zeigt, dass derartige Tauschoperationen ohne Zweifel möglich werden. Sie können für die Spieler auf dem Markt von gegenseitigem Vorteil sein. Es geht um zusätzliche Lieferungen von Pipelinegas auf Märkte, die mit verflüssigtem Erdgas beliefert werden. Wir begreifen alle sehr wohl, dass es in der Endkonsequenz möglich ist, dem Verbraucher zusätzliche Mengen an Pipelinegas zu liefern. Und mit dem eigenen Vertrag kann man an einen anderen Kunden, den man hat, LNG liefern. Das ist Flexibilität und zusätzliche Marge. Deswegen betrachten wir die Dokumente, die wir mit Shell unterzeichneten, in einem sehr, sehr breiten Kontext. Das ist zweifelsohne ein Schritt zur globalen Partnerschaft hin. Aber ich will unterstreichen, globale Partnerschaft ist nicht bloß eine Unterschrift des obersten Unternehmensmanagements. Das ist ein wichtiges, ein absolut wichtiges Moment. Was aber reale Partnerschaft anbetrifft, so bringen uns erst Jahre gemeinsamer geschäftlicher Aktivitäten, gemeinsamer Arbeit real auf ein solches Niveau. Aber ein Anfang ist da. Shell kennen wir gut. Wir haben vollkommen positive Erfahrung. Der Grundsatz der Arbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette wurde von uns allein in Bezug auf den europäischen Markt praktiziert. Nun kommen auch globale Projekte hinzu.
Reuters: Die Wirtschaft, der gesunde Menschenverstand setzt sich also gegen die Politik durch?
Alexey Miller: Was den Nord Stream 2 angeht, so ist dort überhaupt keine Politik dabei. Ich will Sie darauf hinweisen, dass die Entscheidung dazu überhaupt schon im November 2011 getroffen wurde und die ganze Arbeit, von der wir vorstehend gesprochen haben, aufgrund dieser drei Jahre alten Entscheidung geleistet wurde.
Reuters: Es gibt eine beständige Klischeevorstellung davon, wie sich der Gasmarkt in den nächsten zehn Jahren entwickeln wird. Die Amerikaner entwickelten sich zu riesigen LNG-Exporteuren, ihre Wirtschaft wachse durch die niedrigen Preise für Energieträger, Australien schalte sich ein, Ostafrika schalte sich ein… Der Markt sei total übersättigt, Russlands Anteil verringere sich und verliere gegen 2025 seine Bedeutung. Schildern Sie ihre Vision, wie wird der Gasmarkt 2025 aussehen?
Alexey Miller: Lassen Sie uns in erster Linie vom europäischen Markt sprechen. Denn wenn es um den asiatischen Markt geht, so gibt es dort nur Wachstumstendenzen, allerdings weitreichende, sehr weit reichende… Was den europäischen Markt angeht, so stellt sich aus der Sicht unserer Prognosen alles sehr einfach dar. Ob der europäische Gasmarkt schrumpft, ob er an Dimensionen einbüßt oder auf dem alten Niveau bleibt oder wächst, absolutes Volumen russischer Gasexporte nach Europa wie auch der Anteil von russischem Gas am europäischen Markt wird bei jedem Szenario nur zunehmen. Es ist klar, dass dieser absolute Zuwachs, dieser Anteil je nach Szenario jeweils unterschiedlich sein wird, aber unsere absoluten Mengen werden wachsen und unser Anteils wird sich vergrößern, und zwar unabhängig davon, ob der Markt an Umfang einbüßt, auf dem alten Niveau bleibt oder wächst.
Reuters: Was halten Sie vom amerikanischen Gas? Viele sagen, es würde nach Europa gebracht, Europa würde mit amerikanischem Gas überflutet... Was halten Sie von all diesen Prognosen?
Alexey Miller: Wir kennen den amerikanischen Markt, wir kennen die Vorräte an Erdgas, wir kennen die Vorräte an Schiefergas, wir kennen die Tendenzen, die sich dort aktuell herausprägen. Die Vereinigten Staaten sind vorerst noch in hohem Maße ein Netto-Importeur von Gas. Wir glauben, dass es für die grundsätzlich wichtig ist, einen Preisindex für den Gasmarkt zu kreieren. Das ist wohl in erster Linie deren Ziel und Aufgabenstellung.
Reuters: Bei geringen Exportmengen…
Alexey Miller: Für russische Gaslieferungen sehen wir jedenfalls keine Risiken.
Reuters: Wenn man jemanden aus der Ölbranche fragt, wen er fürchte, ist die Antwort immer gleich, nach dem November vergangenen Jahres ist es Ali Al-Naimi. Unvorhersagbare Entscheidung, die Preise stürzten ab. Und wen betrachten Sie als Ihren größten Rivalen insgesamt? Wer ist der größte Rivale der Gazprom auf dem Gasmarkt für die nächsten Jahrzehnte? Alle werden wieder sagen – die USA, aber vielleicht ist dem nicht so?
Alexey Miller: Was nun die Gazprom angeht und was Russland angeht, sollte man begreifen, dass wir in der Lage sind, auf Auslandsmärke so viel Gas zu liefern, wie bei uns geordert wird. Wir können auch jetzt gleich die Gaslieferungen nach Europa mehr als verdoppeln. Das ist die Antwort auf die Frage, wen wir hier fürchten.
Reuters: Die letzte Frage betrifft die Ukraine. Wie werden Ihre Beziehungen zu denen bei Gaslieferungen in fünf Jahren sein?
Alexey Miller: Das ist absolut unvorhersagbar. Was sich absolut sicher sagen lässt, ist, dass der Vertrag, den wir 2009 unterschrieben, eine Geschichte aus Stahlbeton ist. Er wird noch fünf Jahre lang ganz sicher funktionieren und an diesem Vertrag wird nichts geändert werden.
Reuters: Ich danke Ihnen für die Zeit, die sie mir gewidmet haben.
Alexey Miller: Ich danke für Ihre Fragen.
Das Gespräch führte Dmitry Zhdannikov – Redakteur der Reuters für Energiewirtschaft Europas, des Nahen Ostens und Afrikas.